Wie ich begann, seelische Schmerzen und innere Konflikte als das zu betrachten, was sie sind: ein Ruf der Seele nach Entwicklung ihrer Essenz.

In meinem letzten Blog stand: «Gefühle wollen gefühlt werden.» Hier kannst du lesen, wie ich damit umgehe. Ich wünsche niemandem Leid in seinem Leben. Doch sollte es ihn treffen, mögen diese Sätze Führung und Halt geben.

Ich durchlebte einige Phasen, in denen mich schmerzliche Gefühle überwältigten.

Das hier geschah beim ersten Mal:

Es fühlte sich an wie ein siedender Dampfkessel. Ein Eintopf voller Traurigkeit, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit, Wut, Scham, Hass gegen mich, Hass gegen andere, Schuldgefühle, Ablehnung, Abweisung und vieles mehr. Der Druck war immens, der Kampf gegen diese Gefühle unmenschlich.
Ich spürte, dass ich diese Heftigkeit niemals bis ans Ende meines Lebens würde kontrollieren können. Der Druck im Dampfkessel war stärker als mein Wille diese Gefühle zu unterdrücken. Er war grösser als meine Angst, sie auftauchen zu lassen. Dann kam der Zeitpunkt, an dem ich aufgab. Es fiel mir unglaublich schwer aufzugeben, doch blieb mir nichts anderes übrig. Ich war total erschöpft. Sozusagen ausgebrannt. Ich hatte keine Ahnung was los war, außer dass ich furchtbar litt. Ein Arztbesuch kam nicht in Frage. Obwohl mein Leben verloren schien, spürte ich irgendwo in mir großes Urvertrauen.

Also liess ich mich ins Bett fallen. Ich war eher tot, als lebendig. Drei volle Tage konnte ich kaum etwas essen; nur wenig trinken. Die Berührung meiner Frau verusachte unsägliche körperliche Schmerzen. Trotz dieses elenden Zustands entschied ich alles zuzulassen, was kommen wollte. Also kam es:
Mein Brustkorb fühlte sich an, als lägen tonnenschwere Eisenplatten darauf. Ich konnte teilweise kaum atmen, mich nicht bewegen. Es war so heftig. Ich dachte sterben zu müssen. Das wäre auch in Ordnung gewesen, es schien einfach zu viel.
Doch habe ich alles zugelassen: Immer und immer wieder erfassten mich heftige Gefühlswellen. Mir war heiß und gleichzeitig eiskalt. Mein Körper zitterte und schüttelte sich. Trauer, Wut, dann wieder Liebe, dann wieder Ohnmacht. Ein schier endloser Kreislauf. Es fühlte sich an, als sei mir der Boden unter meinen Füssen weggerissen worden. Doch ließ ich meine Gefühle über mich gewähren. Ich gab mich ihnen bewusst und voller Vertrauen hin. Denn die innere Stimme sprach zu mir: «Es ist alles gut.»

Am Morgen des vierten Tages erwachte ich, als ob nichts gewesen war. Ich fühlte mich leicht und beschwingt. Ich hatte das Gefühl, als seien zentnerschwere Lasten von mir gefallen. Meinem Körper ging es pudelwohl. Wie nach drei Wochen Wellnessferien. Ich wusste nicht, was geschehen war. Ich wusste nur, dass sich Einiges in mir verändert hatte. Es fühlte sich nach Heilung an.

Kurz darauf traf ich auf eine stolze Großmutter. Sie sagte mir: “Kinder haben nach einer Grippe oder nach einer Kinderkrankheit, wie die Masern, oft einen Wachstumsschub.” Da fiel es mir wie Schuppen vor die Augen: Ich hatte einen heilsamen seelischen Wachstumsschub gehabt.

Später durchlebte ich einige, ähnlich heftige Phasen. Jetzt gab ich mich diesen Phasen allerdings aktiv hin. Ich gab ihnen Raum. Spürte aktiver hinein und liess meine Seele gewähren. Und die Phasen gingen so schnell vorüber, wie sie gekommen waren.

Mein Leben begann sich zu wandeln. Ich begann zu spüren, was mir guttut und was mir nicht guttut. Ich betrachtete Menschen in meinem Umfeld mit anderen Augen. Ich fühlte plötzlich, welche Menschen mich nähren und welche Menschen mich und mein Wesen unterdrückten (oder richtigerweise: ich mich von ihnen unterdrücken ließ). Neue Interessen traten in mein Leben und mehr Leichtigkeit.

Heute versuche ich so gut wie möglich, alle meine Gefühle umgehend zu fühlen, ohne sie zu bewerten, verurteilen oder zu unterdrücken. Ich lass Gefühle, Gefühle sein. Manchmal gelingt es mir besser, manchmal weniger gut. Es ist auch in Ordnung, wenn mir das nicht so gelingt. Auch lasse ich zu, dass es Tage gibt, an denen ich mich nicht lieben kann. Dieses Zulassen betrachte ich als einen Akt reiner Selbstliebe.

Die grösste Erkenntnis aus diesen Erlebnissen war auch, dass seelischer Schmerz nicht einfach pures Leid ist, welches es gilt möglichst schnell aus dem Weg zu räumen oder “wegzumachen”. Ihn aktiv zu fühlen und zu untersuchen bedeutet, mich zu entwickeln, mich zu lieben. Dadurch meine Seelenessenz mehr und mehr zum Vorschein zu bringen.
Es bedeutet mich so zu nehmen, wie ich bin; mit allen Sonnen- und Schattenseiten.

Wie steht es bei dir damit?

Lies dazu auch diesen Beitrag: Entwickle dich, entfalte dich, wachse

Die Perspektive machts
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