Kürzlich habe ich mit einer Frau gearbeitet. Einige Tage nach der Sitzung sagte sie mir: «Es ist eigentlich nur schlimmer geworden. Der Psychostress hat zugenommen.»
Ehrlich gesagt, tut es mir weh, wenn ich solche Rückmeldungen erhalte. Nicht wegen mir, sondern wegen des Menschen, der sich gerade in einem heilsamen aber schmerzlichen Prozess befindet.
Es tut mir weh, weil ich einerseits niemandem Psychostress wünsche. Und andererseits, wenn ich sehe, dass viele Menschen immer noch das Gefühl haben, seelische Entwicklung gehe völlig schmerzfrei vor sich. Sie wollen dann einfach etwas «Schlechtes» weggemacht haben.
So geht das aber nicht, denn alles hat seinen Sinn und seinen Grund: Und Psychostress in diesem Fall war sogar etwas «Gutes». Wenn dies einmal begriffen ist, wird das Leben nicht einfacher, aber deutlich leichter.
In Fällen wie bei dieser mutigen Frau, muss ich mir immer wieder bewusst machen, dass jeder Mensch genau dort steht, wo er gerade jetzt steht: Mit SEINEM Bewusstsein und in SEINEM Entwicklungsstadium. Ich darf auch nicht voraussetzen, dass jeder Mensch auf Anhieb versteht, was ein seelischer Heil- bzw. Entwicklungsprozess ist. Deshalb kommen ja die Menschen zu mir.
Ich wusste tief in meinem Herzen, dass es bei dieser Frau nicht «schlimmer» geworden war, sondern, dass sie kurz vor einem wichtigen Durchbruch stand.
Ich erklärte der Frau, dass der Psychostress schon durch ihre äusseren Umstände hervorgerufen wird, doch sie sich den Stress damit selbst macht. Das tönt im ersten Moment natürlich ziemlich herzlos und kalt: doch ist es die Wahrheit.
Also erklärte ich weiter: «Auf einen einfachen Nenner gebracht, möchte Ihr Kopf (Ihr Ego) immer noch auf dem gleichen Weg geradeaus gehen, den Sie bis jetzt gegangen sind. Ihre Seele allerdings möchte links abbiegen und einen neuen Weg einschlagen. Das gefällt ihrem Ego nicht, denn dann muss es sich verändern. In Ihnen herrscht nun Krieg zwischen Ego und Seele (zwischen Kopf und Herz). Natürlich gewinnt das Herz diesen Kampf, weil es mächtiger ist. Doch bis es soweit ist, kämpft der Kopf dagegen an und zwar immer härter. Er will die Wahrheit einfach nicht erkennen. Darum nimmt bei Ihnen der Psychostress zu und wird «schlimmer». Es nützt nichts, diesen Psychostress wegzumachen, sondern sich dem Herzen hinzugeben und den Veränderungsprozess einfach geschehen zu lassen.»
Ich wusste, was sie mir darauf antworten würde. Erwartungsgemäss kam: «Ok, ich verstehe das, ABER ich habe Angst.»
Ihre Reaktion war ganz natürlich und menschlich. Ihr Kopf wollte weiter kontrollieren und reagierte mit Angst.
Nach einem längeren Gespräch, gefüllt mit geschickt platzierten Beispielen und begleitet von energetischer Herzensarbeit, begriff sie plötzlich meine Worte: Das sprichwörtliche «jetzt fällt es mir wie Schuppen vor die Augen» war da. Das war der Zeitpunkt, an dem ihr Psychostress merklich nachliess. Sie hatte zwar noch ein bisschen Angst vor dem anstehenden Schritt in die Richtung, in welche ihre Seele zeigte. Doch spürte sie auch Vertrauen darin. Ich sagte ihr, sie solle nichts forcieren. Alles käme zu seiner Zeit und sie müsse sich nicht zu einem Entscheid zwingen. Der käme nun plötzlich von alleine.
Einige Tage später fällte sie die Entscheidung, die schon seit langem in ihr gereift war. Sie erzählte mir anschliessend: «Plötzlich war es mir glasklar, wie ich zu entscheiden habe. Ich tat dies aus der Tiefe meines Herzens heraus. Spontan. Alle damit verbundenen (Schein)-Konsequenzen waren mir in diesem Moment egal. Denn ich hatte glasklare Klarheit in mir. Und eine unbändige Entscheidungskraft.»
Ich gratulierte ihr zu ihrem mutigen Entscheid und fragte dann: «Wie steht es mit dem Psychostress?»
Sie antwortete herzhaft lachend: «Welcher Psychostress?»
Übrigens ist nicht jeder seelische Entwicklungsprozess schmerzlich. Die meisten gehen ganz leicht und flott. ????